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Der Weg vom Handwerk zur Kunst führt über die Kunst am Bau

Von Petra Holtmann

„Die Architektur ist bekanntlich die Mutter der Kunst. Ihr unterordnen sich Malerei und Bildhauerei, wozu auch Sgraffito gehört. Mithin ist der Architekt als Schaffender des Bauwerks stets der Spiritus rector. Dieser trägt allein die Verantwortung für die technische und vor allem für die künstlerische Gestaltung des Bauwerks“ [1], so der Architekt Leopold Ludwigs am 24. Juli 1952 an den Kunstmaler Carl Baumann.

Ludwigs, der bei Peter Behrens an der Kunstgewerbeschule Düsseldorf studierte, zitiert in seinem Schreiben Vitruv, der in seinem ersten der zehn Bücher zur Architektur von der Architektur als „summum templum architecturae“ spricht und sie damit allen anderen Künsten überordnet. Ein Verständnis, das spätestens im 19. Jahrhundert auf prominenten Widerspruch stößt, als John Ruskin in „The Seven Lamps of Architecture“ [2] nur zwei schöne Künste gelten lassen will: Bildhauerei und Malerei. Die Moderne schließlich beantwortet das Spannungsverhältnis zwischen Architektur und Kunst mit der Forderung, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen. So formuliert Walter Gropius im Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar: „Das letzte, wenn auch ferne Ziel des Bauhauses ist das Einheitskunstwerk.“ [3] Zur Erreichung dieses Ziels erstrebt das Bauhaus die Sammlung allen künstlerischen Schaffens, die Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen – Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk – zu einer neuen Baukunst als deren unablösliche Bestandteile. [4]

1934 zeigt Carl Baumann in seiner ersten Arbeit im öffentlichen Raum, einem „ungeheuer großen“ Wandgemälde in Freskotechnik in der Berufsschule in Hagen-Haspe, dieses moderne Verständnis des ganzheitlichen Miteinanders der gestaltenden Künste:

„Den Abschluß des Fresko-Gemäldes bilden nach links hin vier Gestalten, welche die Krönung und Uebergipflung des Handwerks in der Kunst darstellen; der Architekt, der im realen Leben steht und mit realen Dingen zu rechnen hat, der träumerische Maler, der poetisch versonnene Sänger und der das wechselvolle Leben spielende Darsteller mit dem Januskopf.“ [5]

Baumann ordnet die Figuren des Architekten und des Künstlers gleichberechtigt nebeneinander an. Diese Arbeit ist sowohl im Aufbau der Figuren, den zu ihrer Gestaltung verwandten Umrisslinien, vor allem aber auch im Thema als Hommage an seinen Lehrer Johan Thorn Prikker zu verstehen. Nennt Thorn Prikker sein 1911 für den Hagener Hauptbahnhof realisiertes Glasfenster „Der Künstler als Lehrer für Handel und Gewerbe”, zeigt Carl Baumann in seinem Fresko „Den Weg vom Handwerk zur Kunst” . Formal und thematisch ist der junge Baumann bei dieser Arbeit noch nicht auf der Höhe der Avantgarde der Moderne, zu der er mit seiner architekturbezogenen Kunst erst mit seinen Nachkriegswerken Anschluss findet.

Sein erstes Fresko, „die große symbolische Darstellung der Familie, bei der jeder seinem inneren und äußeren Lebensgange zustrebt: der Mann als Verkörperung von Schutz und Kraft, die Frau in anschmiegender Liebe, und das unschuldig spielende Kindlein” [6], entspricht vielmehr im Thema den zeitgenössischen Vorstellungen zur
„Kunst am Bau” in den dreißiger Jahren.

Es ist der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels, der mit seinem „Erlass vom 22. Juni 1934 betreffend Aufträge an bildende Künstler und Kunsthandwerker bei Bauaufgaben der Staatshochbauverwaltung” die institutionelle Grundlage für „Kunst am Bau” legt. [7] Das monumentale Wandgemälde von 18 Meter Länge und 4,50 Meter Höhe zeigt bevorzugte Themen der Zeit: Handwerker und Familie. In der Ausführung wird seiner Arbeit moderne, zum Thema eher widersprüchliche Ästhetik bescheinigt: „Das stark expressive und keineswegs naturalistische Wandgemälde ist in seiner Durchführung so echt und packend, daß es der allgemeinen Aufmerksamkeit hiermit dringend empfohlen sei.” [8] Ein Fazit, das den jungen Künstler zufrieden stellen muss.

Mit ihrem Thema „Der Weg vom Handwerk zur Kunst” hat diese erste, von seinem Lehrer August Müller vermittelte Arbeit biografische Bezüge. Der 14-jährige Carl Baumann beginnt 1926 eine Lehre, um später als Maler und Anstreicher im elterlichen Malergeschäft seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Seine Lehrer in der Städtischen Malerfachschule merken schon früh, dass der junge Mann begabt und als Maler unterfordert ist. Im Jahr 1929 unterstützen ihn nach bestandener Gesellenprüfung die Lehrer Max Austermann und im Besonderen August Müller, seine Talente weiter zu schulen und vermitteln ihn an die Kölner Werkkunstschule. Eine Förderung, die zuvor schon – teils noch mit Unterstützung von Karl Ernst Osthaus – zahlreiche Bauhausschüler, Brocksieper, Agatz, Gebhard und Hilker, sowie Bildhauer bzw. Maler wie Will Lammert und Walter Bötticher hervorbrachte.

In Köln unterrichtet neben Direktor Richard Riemerschmid auch der Künstler Johan Thorn Prikker, der in Hagen eines seiner zentralen Werke, das Glasfenster im Hagener Hauptbahnhof (1911) mit dem Titel „Der Künstler als Lehrer für Handel und Gewerbe” , schuf. An der Werkkunstschule unterrichtet Thorn Prikker auf Berufung durch Riemerschmid seit 1926 als Leiter der Klasse für Mosaik, Glasmalerei und Wandbild. Carl Baumann studiert bei Thorn Prikker ab 1931 drei Trimester Mosaik, Sgraffito und die Technik der Wandmalerei. Ohne Abschluss und ersichtlichen Grund verlässt er nach dem Tod seines Lehrers und Mentors Thorn Prikker die Schule und kehrt nach Hagen zurück, um im elterlichen Malergeschäft zu arbeiten. Neben den üblichen Arbeiten als Maler ist es ihm eine besondere Freude, künstlerische Treppengestaltungen auszuführen [9]. Zwei Jahre später nimmt er seine Studien wieder auf. Diesmal geht er an die Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin, wo er zum Sommersemester 1936 in die Bildhauerklasse von Ludwig Gies aufgenommen wird; ein weiterer Lehrer dieser Zeit ist der Landschaftsmaler Franz Lenk.

Mit seinen Berliner Studien, die bis zur kriegsbedingten Beendigung im Jahr 1940 andauern, legt Carl Baumann die Grundlagen für seinen überregionalen Erfolg als Gestalter zahlreicher architekturbezogener Kunstwerke in ganz Deutschland. In seiner Zeit bei Ludwig Gies gestaltet Baumann auf dem Gelände des Reichssenders Königs Wusterhausen, wo im Zuge der bevorstehenden olympischen Spiele neue Gebäude errichtet werden, 1936 ein Wandgemälde in einem der neuen Gebäude. [10] Hier kann nur vermutet werden, dass dieser Auftrag über seinen Lehrer Ludwig Gies vermittelt wurde. Ebenso kann nur vermutet werden, dass damit die Grundlage für zahlreiche Beauftragungen Carl Baumanns durch die Post, die die Funkstation betrieb, geschaffen wurde. So berichtet ein Beitrag in der WESTFALENPOST [11] anlässlich der Fertigstellung des Wandmosaiks am Fernmeldehochhaus in Meschede von einer über 30-jährigen Tätigkeit des Künstlers für die Post. Während seiner Tätigkeit für die Post entstehen neben Mosaiken, Wandmalereien und Metallplastiken auch Mosaikschilde für die Eingangsbereiche der Ämter. Aus der Vielzahl der Arbeiten, die sich auf annähernd 100 Arbeiten belaufen, können nur einige aufgezählt werden, da eine genaue Inventarisierung leider nicht vorhanden ist. Dazu gehören das ornamentale Wandmosaik in der Kantine der Hauptpost Hamm, das geschosshohe Edelstahl-Relief an der Eingangsfront des Fernmeldeamtes in Münster in der Oststraße, zehn Wandbilder im Haupttreppenhaus des Frankfurter Fernmeldeamtes, Mosaikarbeiten für das Postamt in Hachenburg; ein Sgraffito am Posthaus in der Ittmecke, Meschede, ein Phönix am Postamt in Bestwig; in Itzehoe ein Adler; in Bad Kreuznach in der Poststraße ein weiterer Adler; in Dortmund in der Saarlandstraße desgleichen; ebenso in Winterberg und in Pforzheim in der Schwarzwaldstraße; in Korbach, Auf der Deimel, ein Wandrelief an der Außenwand; in Usingen-Merzhausen in der Albert-Franke-Straße ein Wandmosaik im Innenhof.

In Hagen entsteht 1950 für den Seiteneingang des neuen Hagener Postamtes in der Mittelstraße ein farbiges Sgraffito. In vier Schichten aufgetragen, zeigt es Sinnbilder aus der Heimat. Bemerkenswert ist die Wandlung seines Ausdrucks; zeigen die frühen Arbeiten noch einen figurativ traditionellen Stil, ist dieses Sgraffito durch collagehafte Abstraktion geprägt. Für dasselbe Gebäude gestaltet er über dem Haupteingang einen Bundesadler. Beide Arbeiten sind nicht mehr erhalten.

Die Arbeiten der Folgezeit sind von immer stärker werdender Abstraktion geprägt. 1964 entsteht ein modernes, abstraktes Glasmosaik für das Fernmeldehochhaus in Meschede mit dem Titel „Ein künstlerisches Gleichnis” . Abstraktion bedeutet für Carl Baumann aber nicht die vollständige Aufgabe von Figur und Zeichen oder gar Beliebigkeit, im Gegenteil: „Es soll nicht allein ein lebhafter farbiger Akzent am Eingang des Hochhauses sein, sondern auch thematisch auf die Bedeutung dieses Gebäudes hinweisen. Es soll der Versuch unternommen werden, das Wesen der Fernmeldetechnik in einem künstlerischen Gleichnis zu gestalten” [12]. Weiter wird das Mosaik wie folgt beschrieben: „Er ging dabei aus von der Tatsache, daß seit urewigen Zeiten die Menschen immer wieder optische und akustische Zeichen und Formen zur Nachrichten-Übermittlung entwickelt haben. Licht-, Ton- und Rauchsignale wurden seit den frühesten Kulturen bis zum heutigen Tag verwandt. Aber erst durch die Fixierung, zum Beispiel durch bestimmte Höhen, Dauer und Reihenfolge, wird aus den Impulsen ein Signal, eine Mitteilung. Dies Geschehen wollte Carl Baumann durch verschiedenen Rechteck-Formen, Farbflecke und Komprimierungen sowie durch verschiedene Zeichen darstellen. Das geschah in einem Auf und Ab, in einem Wechsel von Zonen der Ballung von Farbe und Form mit Flächen verhältnismäßiger Ruhe. Dabei steht das figürliche Zeichen – der Mensch – immer wieder im Schnittpunkt der Linie.”

Carl Baumann hat wie kein anderer Hagener Künstler durch „Kunst am Bau” auf sich aufmerksam gemacht. Bei seinen Glasarbeiten steht er in der Tradition seines Lehrers Johan Thorn Prikker, seine Metallarbeiten zeigen Bezüge zur klaren Formsprache seines Lehrers Ludwig Gies, des Bildhauers, der mit dem Bundesadler im Bonner Bundestag wohl Deutschlands bekannteste Plastik schuf. Stets war er – bei allem Respekt für seine Lehrer – um seine künstlerische Eigenständigkeit besorgt: „… für den Schüler ist die Gefahr groß, Epigone des Lehrers zu werden.” [13]

Im Dialog mit befreundeten Künstlern sucht er immer wieder eine Weiterentwicklung seiner Ausdrucksformen, künstlerischer Stillstand ist ihm fremd. Da er über die Jahrzehnte zahlreiche Arbeiten in seiner Heimatstadt Hagen ausführte [14], lässt sich im Hagener Stadtbild – soweit nicht mangelnder Kunstsinn zur Beseitigung der Werke führte – sein künstlerischer Werdegang eindrucksvoll nachvollziehen.

1947, aus der Kriegsgefangenschaft nach Hagen zurückgekehrt, führt er im vom Architekten Ernst Kohlhage entworfenen Bau der Landeszentralbank sechs Glasbilder aus. Das 1,80 Meter hohe und 4,50 Meter breite Glasfenster stellt, unterteilt in sechs Felder, typische Berufe aus Industrie- und Wirtschaft dar. 1947 wird Carl Baumann mit einer Wandmalerei für die Janusz-Korczak-Schule in der Grünstraße 4 in Hagen beauftragt. Bäuerliche, ländliche Szenen sind für die Wiederaufbaujahre typisch. Baumann führt die Darstellungen gegenständlich und naturalistisch aus.

1951 folgt ein Mosaik für das Boeler Hallenbad in Hagen. Das an der Stirnwand angebrachte Mosaik stellt Segelschiffe dar. Im selben Jahr entsteht für die Friedhofskapelle in der Friedensstraße in Hagen ein Sgraffito, das sich im Motiv auf die griechische Antike bezieht; Frauen in antiken Gewändern spenden sich gegenseitig Trost; eine reicht der anderen tröstend die Hand. Für das Krematorium in Delstern entsteht ein Wandbild im Raum der Angehörigen. Die figurale Darstellung der Trauernden kontrastiert mit der linienhaften, abstrahierenden Darstellung der Übrigen. Die einzelnen Darstellungen werden durch große, sich überlagernde Farbflächen zusammengehalten. Auch aus dem Jahr 1951 stammt das Sgraffito am Gasthaus Plessen, das ehemals die Giebelwand zierte und heute zerstört ist. In zeittypischer Idylle werden eine Bäuerin mit Ährenbündel, ein Mädchen mit Blütenband, ein Schmied mit Hammer und Amboss sowie ein Junge mit einer Gitarre dargestellt.

1952 führt Carl Baumann an dem Schuhhaus „Salamander” in der Mittelstraße in Hagen ein Sgraffito aus, das den Kampf der Architekten und des Künstlers, wie es in diesen Jahren häufig zum Tragen kommt, widerspiegelt. In dem eingangs zitierten Brief des Architekten Ludwigs an Carl Baumann liest man: „Frau Ruberg-Ludwigs, die in künstlerischen Dingen eine sehr moderne Auffassung hat, ist der Auffassung, daß die Figuren des Sgraffitos keine Geschlossenheit aufweisen, das Bild mithin zerrissen ist. Dieses könnte – was auch unsere Meinung ist – durch die Anordnung dunkler Konturen, für die im Unterputz der Lavaton vorherrscht, in letzter Minute durch Ihre eigene Abänderung verbessert werden, so daß ein erzieherisches und erbauendes Bildwerk für die Allgemeinheit zustande gebracht wird. Es ist uns unverständlich, daß Sie die uns übermittelte Skizze, die wir anerkannt hatten, so willkürlich in der Ausführung zur Abänderung brachten. Die Skizze zeigt die Geschlossenheit der Figuren, die bei der Ausführung vollständig fehlt. Es war doch in Halden besprochen worden, daß der Unterputz für die ganzen, dunklen Konturen aufgebracht werden soll. Nun haben Sie spielerisch einige wenige Konturen, die zur Zerrissenheit des Ganzen führen und keine Einheit bilden, zur Ausführung gebracht.”

Baumann, selbstbewusst und erfolgreich, bleibt bei seiner Ausführung. Das Thema ist unspektakulär, die Ausführung gekonnt und präzise. Obwohl das Motiv konservativ angelegt ist – eine Feldarbeiterin mit Ährenbündel und ein Stahlkocher – wird hier wie schon bei dem Wandbild im Anbau des Krematoriums in Delstern eine neue Formsprache in den Arbeiten Baumanns ersichtlich, die er im weiteren parallel zu seinem bisherigen Themen- und Formenkanon anwendet. Angeregt durch die Künstler der Moderne ändert er sein Stilrepertoire. Seine Köpfe werden kleiner, stehen unproportioniert zum Körper, der Farbaufbau wird zunehmend wichtiger, er spart Flächen aus, nutzt dies zur Gestaltung. Weitere Aufträge bestärken ihn in seiner künstlerischen Unabhängigkeit; er bleibt aber stets von persönlicher Zurückhaltung und Bescheidenheit geprägt. Das 1959 entstandene Sgraffito am Wohnhaus in der Brauhausstraße 12 in Hagen stellt den Wendepunkt in der Verwendung seiner Stilmittel dar. Obwohl das Thema konservativ ist, ist die Ausführung neben der Verwendung der Grundfarben in der Ausführung mit Anklängen an abstrakte Gemälde von Picasso äußerst modern. Konstruktion und Dekonstruktion halten Einzug in die Arbeiten von Carl Baumann. Lässt die Arbeit am „Salamandergebäude” den Wandel im Ausdruck schon erkennen, wird er hier vollends deutlich.

Baumann ist bei zahlreichen Wettbewerben erfolgreich. Seine Arbeiten, sein Entwurf, aber auch seine gekonnte Ausführung sind geschätzt. Die Wandbilder für die Ricarda-Huch-Schule, 1954 ausgeführt, zeigen vier Frauengruppen auf jeder Etage des Treppenhauses in antikisierenden Gewändern. Die Wandmalereien sind flach und ohne Perspektive gehalten. Akzentuiert werden die abstrahierten Formen, die nur durch Umrisslinien dargestellt sind, durch gezielt gesetzte Farbflächen. Motive, Pastellfarben und organische Formen sind typisch für die 50er Jahre. In demselben Gebäude befindet sich auch eine von leichter Linienführung geprägte Wandmalerei von Emil Schumacher aus demselben Jahr, die musizierende Jungen und Mädchen zeigt.

1957 entwirft Baumann in der Gebrüder-Grimm-Grundschule mit glasierten Klinkerplatten eine Darstellung der Stadt Hagen; ein Thema, das ihn im Zuge des Wiederaufbaus der Stadt fasziniert. Einige Jahre später, 1964, wird er dieses Thema in einem Glasmosaik für das neu errichtete Hagener Rathaus wieder aufnehmen und variieren. Diese Arbeit wird als eine seiner besten beurteilt. Das Glasmosaik mit dem Titel „Die lebende und wachsende Stadt” entsteht für den Durchgang zum neu errichteten Verwaltungshochhaus des Hagener Rathauses. „Es besteht aus zahlreichen farbigen Steinen, die meist in Quadrate, unregelmäßige Rechtecke und Dreiecke geschnitten sind. In abstrahierender Weise ist der Plan der Stadt Hagen dargestellt, deren Siedlungsschwerpunkte und städtebauliche Anlage als Bandstadt an einem Fluss deutlich auszumachen sind. Künstlerisches Thema ist „Bild, Raum und Bewegung” . Das Mosaik ist zeittypisch und entspricht der Vorstellung, wonach Raum und Raumkunst eine Einheit bilden sollten.” [15] Im Rahmen des Rathausneubaus wird das 14,00 x 2,50 Meter große Glasmosaik in einen der neuen Sitzungssäle des heutigen Rathauses transloziert. Einem ähnlichen Thema widmet sich auch das großformatige Mosaik im Casino des Kraftwerkes Everlingsen der Mark-E mit der Darstellung der „Region Mark”.

Neben seinen Wettbewerbserfolgen ist sicherlich auch die Freundschaft des Künstlers mit dem der Kunst zugewandten Stadtbaurat Herbert Böhme für die Vermittlung des ein oder anderen Auftrags hilfreich. Herbert Böhme beschreibt die Entstehung einzelner Mosaike mit seiner Erinnerung „an die großformatigen Entwürfe, die in der Galerie des zweigeschossigen Ateliers lang herabhängenden Papierrollen mit Entwürfen, sowie an erste Mosaikproben, die einen ersten greifbaren Eindruck auch von der handwerklichen Kunst und dem mühevollen Herstellungsprozeß der großen Wandbilder erzählten” [16]. Zum 50. Geburtstag Carl Baumanns schreibt Herbert Böhme: „… Mit großem Interesse habe ich Deine künstlerischen Arbeiten in den letzten Jahren verfolgen dürfen und erlebt, in welcher Weise Dein ernstes Bemühen und Ringen um die verbindliche künstlerische Aussage Dich hat reifen lassen und welche schönen Werke Du in dieser Zeit erarbeitet hast. Ganz besonders stehe ich unter dem Eindruck Deiner zurückhaltenden Bewertung Deiner eigenen Arbeit, glaube aber, daß diese Arbeit für sich spricht und damit die beste Wertung auch für Dich selbst darstellt.” [17]

Bei allem künstlerischen Wettstreit bleibt aber das kollegiale Miteinander der Hagener Künstler nicht auf der Strecke. So erinnert sich der Künstler Helwig Pütter [18], dass sich Emil Schumacher, der bei einem Mosaikbild in der Hagener Jugendherberge Probleme mit der Gestaltung der Gesichter hatte, Rat und Ausführungshilfe bei Carl Baumann holte. Gemeinsam mit Oskar Sommer und Erwin Hegemann schließt er sich 1963 zur „gruppe hagen 63” zusammen; mit Helwig Pütter und Horst Becking führt Carl Baumann die Künstlervereinigung Hagenring von 1967 bis 1973 durch eine ihrer letzten erfolgreichen Schaffensperioden.

Neu ist ab den 60er Jahren das Arbeiten mit Edelstahl. 1967 entsteht ein Stahlrelief unter den Arkaden an der Außenwand des Verwaltungsgebäudes der ehemaligen Stadtwerke Hagen. Mit einer Größe von 13 x 2,80 Metern gehört(e) es zu den städtebaulich wichtigsten und prägendsten Kunstwerken im öffentlichen Raum. Die gleichmäßige Struktur der Reliefplatten und die glatte, glänzende Oberfläche des Edelstahls kontrastiert mit den stumpfen, schwarzen Metallerhebungen, die Baumann zeichenhaftig auf und über die Reliefplatten gelegt hat. Die auf den Edelstahl aufgebrachten freien Linien und amorphen Flächen unterstützen die Lichtund Schattenwirkung der reflektierenden Stahlplatten, drängen sie aber gleichzeitig als „Maluntergrund” zurück. Sie distanzieren das Stahlrelief von technoider oder konkreter Kunst und verorten die Arbeit im Informel. In der WDR-Sendung „Hierzulande — Heutzutage” wird 1967 über das gerade fertig gestellte Baumann-Relief wie folgt berichtet: „Baumanns Reliefs schließlich sind bemalte Edelstahlwände. Die Wand ist aufgeteilt in leicht gegeneinander versetzte Quadrate, die durch ein endloses Band aus Lötzinn verbunden sind. Einige freie Formenstrukturen bilden die Schwerpunkte. Die Arbeit wirkt schlicht und zurückhaltend und vor allem darum überzeugend.” [19] Eine weitere Edelstahlarbeit wird 1970 von Baumann für das in diesen Tagen geschlossene Willy-Weyer-Schwimmbad in Hagen-Mitte gestaltet; ein 25 Meter langes Relief an der Längsseite des Beckens. Künstlerische Idee war, ein „reiches Formenspiel aus kubischen Grundelementen zu schaffen, das durch Schachtelung mit dem bewegten Wasser im Becken korrespondiert” . Das Auge des Vorübergehenden treffen vom spiegelnden, blanken Metall ausgehende, ständig wechselnde Reflexe, die in verwandter Weise auch im Wasser zu beobachten sind”. [20] Im März 2010 konnten die Besucher dort ihre letzten Bahnen schwimmen.

Baumanns letzte Arbeit im öffentlichen Raum ist ein Bleiglasfenster in der Trauerhalle des Waldfriedhof Hoheleye. 1974 entsteht ein 2,60 x 1,70 Meter großes Glasfenster für die Eingangstür. Dargestellt sind kleine, auf Pfingsten deutende Flammen aus weißem Glas, die ein lilafarbenes Kreuz ausfüllen, das sich von einem dunkelblauen Hintergrund abhebt, sein Tränenkreuz.

Eine ganz besondere Form des Umgangs mit der Kunst Carl Baumanns findet sich ausgerechnet im Hagener Stadttheater. Für das Foyer des Theaters schuf Baumann 1962 das Mosaik eines abstrahierten Paradiesvogels. Das symbolträchtige Getier aus 100.000 Mosaiksteinchen steigt „mit seinem faszinierenden Mosaik-Gefieder wie ein Phönix aus der Asche und somit aus der Zerstörung in eine licht- wie hoffnungsvolle Zukunft der Stadt und ihres kulturellen Lebens. Das entstandene Wandbild ist voller Dynamik und geradezu dreidimensionaler Plastizität. Wer das Hauptportal betritt und das Treppen-Foyer erreicht, hat den freien Blick auf 10 Meter Paradiesvogel”. [21] 1994 beschließen die Verantwortlichen des Theaters, das Mosaik mit einer Sperrholzwand zu verkleiden, die sie mit Theaterfotos dekorieren. Ob ein solcher Wettstreit der Künste die Attraktion des Theaters steigert, darf bezweifelt werden, eher steht zu vermuten, dass Hagen damit einmal mehr seinem Ruf gerecht wird, in künstlerischen Fragen eigenwillige Entscheidungen zu treffen!

Vielleicht gibt sein 100. Geburtstag 2012 Anlass, Bürgern und Besuchern der Stadt mit der Freilegung der Arbeit bei geringem finanziellem Aufwand ein Geschenk von hohem künstlerischem Wert zu machen. Ein Wert, den die ehemalige Leiterin des Osthaus-Museums, Dr. Hertha Hesse-Frielinghaus, bereits vor mehr als 30 Jahren erkannte: „… Sie haben bereits ein großes Werk hinter sich, größer und bedeutender, als man es in Hagen weiß. Dennoch sieht man Sie immer wieder bei neuem Suchen nach gültigen Lösungen. Sie halten es mit Goethe, der nur dem immer Strebenden die ,Erlösung’ zuerkannte.” [22]

Anmerkungen

  1. Leopold Ludwigs in seinem Schreiben vom 24. Juli 1952 an Carl Baumann zumSgraffito am „Salamander-Haus” in der Mittelstraße, Hagen.
  2. John Ruskin, The Seven Lamps of Architecture, London, 2. Auflage, 1855, Vorwort S. XXVIII.
  3. Walter Gropius, Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar, Ziele des Bauhauses, Weimar, April 1919.
  4. Walter Gropius, ebenda.
  5. Der Weg vom Handwerk zur Kunst, Artikel Hagener Tageszeitung 1934, Archiv ardenkuverlag.
  6. Ebenda.
  7. Siehe grundlegend dazu Elisabeth Dühr, Kunst am Bau – Kunst im öffentlichen Raum, Frankfurt am Main, 1991.
  8. Siehe Fußnote 5.
  9. So seine Frau Ilse Baumann im Gespräch mit der Autorin am 13.10. und 9.11.2000.
  10. Ebenda.
  11. WESTFALENPOST vom 12.2.1964.
  12. WESTFALENPOST, ebenda.
  13. Carl Baumann in der WDR-Sendung „Hierzulande – Heutzutage” vom 20.3.1967.
  14. Siehe hierzu den umfassenden Überblick in „HagenKunst – Kunst im öffentlichen Raum” , Hagen, 2006, S. 47– 60.
  15. Gutachterliche Stellungnahme des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege Münster vom 29.7.1999, S.6.
  16. Herbert Böhme in: Ausstellungskatalog Carl Baumann, Karl Ernst Osthaus Museum, 1989, Kunst am Bau, S. 11.
  17. Herbert Böhme an Herrn Kunstmaler Carl Baumann, 5.11.1962, Archiv ardenkuverlag.
  18. So Helwig Pütter im Gespräch mit der Autorin im August 2000.
  19. Siehe Fußnote 13.
  20. HZ vom 13.5.1970.
  21. Herbert Böhme zitiert von Hubertus Heiser in WESTFALENPOST vom 2.2.2005.
  22. Dr. Hertha Hesse-Frielinghaus, Schreiben an Carl Baumann vom 2.11.1972, Archiv ardenkuverlag.